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Usambaraveilchen

Neulich habe ich in der Pflanzenabteilung eines Baumarkts etwas völlig aus der Zeit gefallenes getan: Ich habe ein Usambaraveilchen gekauft. Bereits an dieser Stelle der Geschichte verwette ich ein Usambaraveilchen darauf – vielleicht eines in der Farbe Moonshadow – dass kaum noch bekannt ist, worum es sich dabei handelt. Soviel verrät der Name aber wohl selbst den Ahnungslosesten: Es ist eine Pflanze. Eine vergessene. Unauffällig, klein und einfach da. Im Baumarkt. Sie löst eine der Erinnerungen an früher aus, die mich immer öfter etwas tun oder kaufen lassen, was ich als praktisch, schön oder wohlschmeckend befinde. Das Usambaraveilchen stammt aus den Bergen von Tansania. Dort kommt es mittlerweile kaum noch in freier Wildbahn vor. In Töpfen und auf Fensterbrettern allerdings hat es weltweite Verbreitung gefunden. Unter dem Namen „African Violet“ ist es vor allem den Amerikanern sprichwörtlich ans Herz gewachsen. Mehr als 2000 Sorten kennt man dort. Bei uns kennt man meist nicht mal mehr den Namen des pelzigen Pflänzchens mit den fleischigen Blättern und den violetten bis hellrosa Blüten. Wenn es denn blüht.

Mein Usambaraveilchen, das nun seit einiger Zeit am Küchenfenster sein Töpfchen bewohnt, habe ich spontan erworben, weil es mich an meine verstorbene Mutter erinnert. Sie hatte Usambaraveilchen an jedem hellen Fensterbrett aufgestellt, wenn dafür ausreichend Platz vorhanden war. Und die Usambaraveilchen meiner Mutter blühten wie der Teufel. Sie sprach mit ihnen, wie mit allen ihren Pflanzen, gleich ob im Zimmer oder im Garten. Heimlich, während des täglichen Rundgangs durch die Zimmer, in denen sich Pflanzen befanden, berührte sie die Hoyas, Passifloras, Anturien und eben auch Usambaraveilchen; sprach leise mit ihnen, oft auch nur in Gedanken. Sie ließ sich dabei zwar nie beobachten, aber wir wussten alle zuhause, dass sie es tut. Auch zu ihren Pflanzen war sie eine gute Mutter. 

Usambaraveilchen haben Ansprache bitter nötig, so unauffällig geduckt müssen sie sich neben prächtig hochgewachsenen Dieffenbachien, prall blühenden Zimmerbegonien oder saftig grünen Bubiköpfen behaupten. Vielleicht blühen die tansanischen Veilchen auch deshalb nur für jene, die ihnen echte Aufmerksamkeit schenken. Also nicht bloß im Vorübergehen einen Spritzer Wasser – und den immer nur unter die Blätter, denn unter keinen Umständen darf das Usambaraveilchen von oben gegossen werden. Es wird sofort beleidigt sein und oft tagelang, reaktionslos in seinem Töpfchen hocken. Vielleicht wirft es sogar ein Blatt im Ärger ab. Denn allein schon die silbrige, pelzige Beschaffenheit seiner Blätter und die schimmernden, violetten Blüten sollten selbst den unerfahrensten Zimmerpflanzenhaltern vermitteln: Anfassen gerne. Aber draufgießen? Niemals! – jedenfalls will es echte Zuwendung. Meine Mutter konnte das. Ihre Usambaraveilchen blühten in allen Farben und immer.

Besondere Freude hatte sie daran, wenn ein Usambaraveilchensteckling unter ihrer Pflege zur Pflanze gedieh und dann mit der erste Blüte seine Farbe verriet. Stecklinge tauschen war ja bis in die Siebziger Jahre der übliche Weg, an Zimmerpflanzen zu gelangen. Baumärkte und Möbelhäuser beschränkten sich damals auf das Verkaufen von Werkzeug und Einrichtungsgegenständen. Zimmerpflanzen, die irgendwo am anderen Ende der Welt unter oft fragwürdigen Umständen in die viel zu kleinen Töpfe gepfropft werden, um dann in unseren Wohnzimmern bei falscher Pflege zu verrecken, hatten sie nicht im Programm. Vermutlich ist auch deswegen das kleine, unscheinbare Usambaraveilchen aus den Pflanzenabteilungen verschwunden. Es ist einfach zu kompliziert und sieht auch in größeren Gruppen nach nichts aus. 

Als Usambaraveilchen mit dem grünen Daumen meiner Mutter aufwachsen zu dürfen, war also ein echter Glücksfall. Wir als ihre Familie hatten auch was davon. Denn sie hatte Geduld. Endlose Geduld sogar. Ob es um das Verbessern von Schulnoten ging, oder um die chronische Finanzschwäche meines Vaters, ob es ihre Handarbeiten waren – meine Mutter hatte ein unglaubliches Geschick mit Nadel und Faden, ohne es je gelernt zu haben – oder ihre Zimmerpflanzen, Geduld war es, was sie im Übermaß hatte. Und Mitgefühl für die Schwachen, Unbeachteten. Schon als Kinder hat uns unsere Mutter Hilfsbereitschaft und Verzichten beigebracht. Das brennt sich offenbar ein und wirkt in bewegten Zeiten wie eine Schutzimpfung gegen das Überschnappen.

Die Geduld habe ich wohl von ihr geerbt, denn ich kann so, wie meine selige Mutter auch, andere Menschen mit Ausdauer und Genauigkeit beinahe in den Wahnsinn treiben,. Dazu gehört Dinge reparieren, die Küche putzen, Gartenarbeit, etwas recherchieren, Radfahren oder zu Fuß gehen statt das Auto zu nehmen, lesen. So gesehen war es nur eine Frage der Zeit, bis ich das erste Usambaraveilchen ins Haus hole. Da steht es nun am Fenster in der Küche und hat erst einmal geblüht. Also eigentlich war das die Blüte, mit der es im Geschäft stand und meine Aufmerksamkeit erweckt hat. Eine eigene hat es mir noch nicht geschenkt. Wenn ich es streichle und mit dem Finger vorsichtig über seine silbrig behaarten Blätter fahre, flüstere ich ihm manchmal etwas zu wie beispielsweise:

„Da ihr ja alle irgendwie verwandt sein müsst, weisst Du sicher, dass ihr alle für meine Mutter geblüht habt. Also sei so nett und mach mir auch die Freude. Ich weiß ja schon, dass Du violette Blüten hast. Du hast es ja gut bei mir. Oder fehlt Dir etwas?“

Vielleicht sollte ich dem störrischen Gewächs verraten, dass auch die Tatort-Folge 123 aus 1981 den Titel „Usambaraveilchen“ trägt. Dass in den USA die große Zuwendung der Menschen zu seinen Artgenossen auch einen Knallkopf wie Donald Trump überdauern wird. Oder ich habe einfach Geduld, wie meine Mutter sie auch bei mir hatte. Man kaufe sich also ein Usambaraveilchen und lerne von ihm. Oder fragt Freunde nett um einen Steckling, wie es sich eigentlich für Usambaraveilchenhalter gehört.

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26 – Raffael Reithofer: „Gute Zeitung machen ist eine Kunstform“

Es ist vorbei. Die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt, die Wiener Zeitung, gegründet 1703, bringt am 30. Juni 2023, fast genau 320 Jahre nach der ersten, auch ihre letzte Ausgabe. Und das ohne Not, sondern aus einem Akt mutmaßlicher Willfährigkeit und Unverstandes der österreichischen Bundesregierung gegenüber einem einzigartigen Stück Medienkultur und Zeitgeschichte.

Das ist die allerletzte Titelseite der Wiener Zeitung, die am 30. Juni 2023 erscheinen wird. Zahlen, die beeindrucken und beweisen, wie lange „am längsten erscheinend“ eigentlich ist. (Foto: Twitter)

Die Wiener Zeitung war es, die beispielsweise in Österreich vor hunderten Jahren die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika berichten konnte, die Kaiser, Komponistinnen, Denkerinnen, Kriege, Friedenschlüsse, Erfindungen, soziale und politische Revolutionen und vieles mehr, das unser Leben heute noch beeinflußt, in parteipolitischer Unabhängigkeit den Leserinnen überbracht hat. Die das dritte Reich überlebt hat. Von der jede Ausgabe heute noch in einer einzigartigen Sammlung existiert. Für deren Sterben es keinen nachvollziehbaren wirtschaftlichen Grund gibt.

„Weil’s einfach deppert sind“

Der junge Steirer Raffael Reithofer hatte die einmalige Gelegenheit, in seiner journalistischen Karriere für diese ganz besondere Zeitung zu schreiben und eine ganz besondere Redaktion kennenzulernen. Und auch er versteht nicht, wie man diese Kulturschande einfach so durchwinken konnte. In 90 Minuten spricht er darüber, was mit der Einstellung der Wiener Zeitung verloren geht. Nämlich einen seriösen, hochwertigen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung und Wissensvermittlung, der nicht von Algorithmen oder Eigentümerlaunen, sondern sorgfältiger journalistischer Arbeit bestimmt wurde. Ein Gegengewicht zu dem, was heute gerne mit guten Medien verwechselt wird: der überbordenden Vermittlung privater Meinungen in sozialen Medien. Die Wiener Zeitung hinterlässt einen Platz, den keine andere Tageszeitung zur Zeit füllen kann. Mit dieser Folge von Aus Gründen wollen Raffael Reithofer und Stephanos Berger dem Blatt ein akustisches Danke aussprechen. Zeit nehmen, anhören.

Ein heiterer und kritischer Nachruf mit guter Musik aus Wien von monkeymusic – mit Dank an Walter Gröbchen.

Die allererste Titelseite der Wiener Zeitung als „Wiennerisches Diarium“ von 1703 …
… und Ex-Trainee Raffael Reithofer mit der vorletzten Ausgabe der Wiener Zeitung in Händen: „Zeitung gut machen ist einfach eine Kunstform“ (Foto: Privat)

Links zur Episode:

Die Wiener Zeitung Online (seit 1995!)

Seuchenkolumne 29.6.2023 von Armin Thurnher

Die Zukunft der Wiener Zeitung – Facebook-Diskussion

Die Geschichte der Wiener Zeitung

Die Musiktitel dieser Episode:

Drahdiwaberl – Wenn ich Präsident bin / Sitzpinkler
Dezember 2022 monkey.

Fehlfarben – Das sind Geschichten / Monarchie und Alltag
Mai 2020 monkey.